Donnerstag, 13. Oktober 2016

Abdoldjavad Falaturi: Dialog zwischen Christen und Muslimen in Europa

In welchem Rahmen stelle ich diese Problematik dar?

Vorbemerkung Nr. 1: Ich werde mich zwar hauptsächlich auf den Dialog zwischen Christen und Muslimen in der Bundesrepublik Deutschland konzentrieren, komme aber nicht umhin, auf die Begegnungen der Muslime mit den Christen auf europäischer Ebene hinzuweisen und auf die Verbindung, bzw. Abhängigkeit dieser Gespräche von den interkulturellen und interreligiösen Bemühungen auf globaler Ebene Bezug zu nehmen.

Vorbemerkung Nr. 2: Von welcher Warte und basierend auf welchen Erfahrungen rede ich hier? Ich spreche von einer islamischen Sichtweise, nach der jeder Muslim zu jedem Gespräch bereit sein sollte.

Schulbuch-Analyse
Meine Erfahrungen in dieser Richtung betragen mehr als 30 Jahre, besonders maßgebend hierfür ist das Schulbuchprojekt gewesen, das mit Hilfe von mehr als 40 deutschen Fachgelehrten verschiedener Richtungen seit 10 Jahren hier in der Bundesrepublik durchgeführt wurde. Es handelt sich um die Analyse der Schulbücher in den Fächern Religion, Ethik, Geschichte, Geographie, Politik, usw. sowie auch die dementsprechenden Richtlinien und Lehrpläne. Dieses Projekt, das lediglich aus pädagogischen und kulturellen Gründen entstanden ist, nahm die Schulbücher als ein Medium, das das Bild des Islam in der abendländischen Kultur und Gesellschaft widerspiegelt. Diese Erfahrungen werden bereichert durch die Erweiterung des gleichen Projektes auf mehr als 20 westeuropäische Länder.
Ich möchte mein Statement in vier Punkten zusammenfassen:

            1.  Einstellung der Diskussionspartner zueinander
            2.  Motivation und Zielsetzung der beiden
            3.  Differenzierung verschiedener Diskussionsebenen
            4.  Suche nach einer gemeinsamen Sprache

1.  Einstellung der Dialogpartner zueinander

Sie müssen sich als gleichberechtigte Dialogpartner empfinden, gegenseitigen Respekt aufbringen. Sie sollten jeweils überzeugt davon sein, dass der Glaube und die Weltanschauung des Partners von positiven Werten getragen werden, die in Erfahrung gebracht werden müssen.

Genauso ist die Überzeugung davon notwendig, dass jeder der beiden Gesprächspartner ebenso eigene Probleme hat wie der andere. Kurz: Man darf nicht von den eigenen positiven Werten ausgehend das Negative bzw. negativ anmutende Phänomen des Glaubens und der Kultur des Partners zur Diskussion stellen. Demnach treten überall dort große Hindernisse für jeden Dialog auf, wo diese  Voraussetzungen fehlen, nämlich überall dort, wo eine negative Einstellung zueinander die Ausgangsbasis ausmacht, das heißt konkret:

  • überall dort, wo die Überheblichkeit des einen dem anderen gegenüber die Gleichheit in der Partnerschaft zerstört.
  • überall dort, wo nicht die beiderseitigen Werte und Probleme in Betracht gezogen werden.
  • überall dort, wo der eine oder der andere seine Voreingenommenheit durch das Gespräch bestätigt wissen will.
  • überall dort, wo man das Aufrechterhalten der herkömmlichen Feindbilder beabsichtigt (bewusst oder unbewusst).


2.  Motivation und Zielsetzung

Entsprechend den Ausführungen unter Punkt 1 ist der Dialog dort möglich, nützlich und sogar notwendig, wo die beiden Partner wohlwollend und mit einer ehrlichen gegenseitigen Zuneigung einander gegenüberstehen und bereit sind, voneinander zu lernen und gegenseitige Vorurteile abzubauen, mit dem Ziel, endlich von zementierten Feindbildern wegzukommen und eine friedliche Koexistenz zu ermöglichen und zwar in einem Europa, welches fast 20 Millionen Muslime als ständige Bewohner beherbergt, von denen viele bereits die Staatsangehörigkeit eines europäischen Landes haben.

Problematisch oder gar unmöglich wird ein Dialog dort, wo man, von den herkömmlichen Bildern und Einstellungen motiviert, sich zu einem Dialog zusammenfindet. In diesem Falle kann das Ziel nur sein, den anderen auf die Anklagebank zu setzen, ihm eine Schuldliste vorzutragen, ihn zu verurteilen und sich selbst zu bestätigen.

Das betrifft in Deutschland und in Europa meist den Islam und die Muslime, die in der Mehrzahl der Gespräche aus der Defensive heraus operieren müssen und nicht genug Gelegenheit bekommen, die auch für Europa brauchbaren Werte aus der eigenen Kultur vorzutragen und auf diese Weise einen Beitrag zur friedlichen Koexistenz in Europa zu leisten.

Ein großes Hindernis steht dem Dialog dort im Wege, wo ein offener oder versteckter Missionsgedanke vorliegt, der von der Absolutheit des eigenen Glaubens ausgeht und nicht bereit ist, der Existenzberechtigung der anderen zuzustimmen.

Meine besten Erfahrungen habe ich in den Dialogveranstaltungen unter den Fachleuten im Hause Herder in Freiburg gemacht. Gleichberechtigte Partnerschaft, ersichtliche gegenseitige Zuneigung, Respekt und Bereitschaft, voneinander zu lernen und das Positive von den anderen sogar hervorzuheben und Verständnis für gegenseitige Probleme zu zeigen, bestimmten diese Gespräche.

Sehr oft habe ich negative Erfahrungen machen müssen. Wichtig war und ist für mich, dass ich aus jeder Erfahrung, ob positiv oder negativ, etwas Neues gelernt habe. Ich habe gelernt, den Islam aus einer ganz anderen Warte, als ich ihn in der islamischen Umwelt gelernt habe, zu betrachten, und im Koran, in der Sunna und in den islamischen Rechtsschulen, allesamt sunnitische oder schiitische, neue Werte zu entdecken.

Das hat mir und meinen europäischen Kollegen sogar geholfen, ein Projekt auf der deutschen wie auch auf europäischer Ebene ins Leben zu rufen und einen Grundstein für dauerhaften Frieden unter den Muslimen und Christen in Europa zu legen.

3.  Differenzierung verschiedener Diskussionsebenen

Weder ein Muslim noch ein Christ ist allein von seiner Religion geprägt, vielmehr gibt es weitere Faktoren, die zu dieser Prägung beitragen. Es sind vor allem kulturelle Eigenheiten, die von Land zu Land verschieden sind, die politischen Richtungen und Ideologien, die den Alltag systematisch bestimmen. Es sind die daraus entstandenen individuellen Weltanschauungen, die das Dasein des einzelnen und jeder Gemeinschaft tragen. Es sind zum Teil ethnische und konfessionelle Besonderheiten, die überall große Wirkungen zeigen. Es sind Sitten und Gebräuche, Volksglaube und Aberglaube, die den Inhalt des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ausmachen. Kurz: Es kann nie und nimmer alles, was ein Muslim oder ein Christ hier oder außerhalb von Europa tut, für christlich oder islamisch gehalten werden. Ein erfolgreiches Gespräch setzt eine messerscharfe Differenzierung zwischen diesen Ebenen voraus. Hierbei haben die Muslime mehr Probleme als die Christen. Das liegt daran, dass alles, was in den islamischen Ländern passiert, vor allem alles, was den Westen betrifft oder betreffen könnte, generalisiert und als islamisch dargestellt wird, mit der Überzeugung, dass auch jeder Muslim sich hier damit identifizieren müsste. Das Ergebnis ist, dass jeder Muslim in Europa für alles, was irgendwo passiert, den Kopf hinhalten muss. Das geschieht zumeist auf aktueller, politischer Ebene, eine Ebene, die kaum mit der islamischen Lehre gleichzusetzen ist. Es handelt sich um internationale, politische Erscheinungen, die nicht einseitig in Betracht gezogen werden dürfen.

Wir müssen unsere eigene Haltung im Westen gegenüber diesen und anderen Ländern aus der sogenannten Dritten Welt ernsthaft überdenken und diese einer ehrlichen Kritik unterziehen. Die große Verantwortung hierbei tragen die Politiker und die Medien, die Feindbilder schüren. Panikmacherei zu betreiben, Angst und Schrecken der Bevölkerung einzujagen, geschieht leider am laufenden Band. Schriften solcher Art werden am meisten gelesen, und Sendungen dieser Gestalt werden mit großem Interesse gehört. Man findet alles interessant und aufregend. Bücher und Filme wie: Allahs Schwert, Das Schwert des Islam, Nicht ohne meine Tochter werden gekauft und verschlungen mit der Genugtuung, dass wir doch bessere Menschen sind: Wir sind Zivilisierte und die anderen? Das Ergebnis ist: Auf der einen Seite Stolz und Überheblichkeit, auf der anderen Seite Resignation und Ratlosigkeit.

Das Ergebnis ist ferner, dass ein Bekehrungsdrang sich hier bei uns stark macht; ich meine nicht Bekehrung zum Christentum, sondern Bekehrung zu unserer Zivilisation und zu unseren westlichen Werten. Das sind aber nicht tiefe, menschliche Wertigkeiten. Es wird uns reichen, wenn der andere sich so benimmt, wie man es hier im Westen tut, wenn der andere so tanzt und trinkt und sich amüsiert, wie manche es hier gewöhnt sind zu tun. Nicht einmal die gesellschaftskritischen Vorbehalte an vielen Erscheinungen hierzulande werden dabei in Betracht gezogen. Es ist alles in Ordnung, wenn der andere seine Identität verliert. Und wenn alles nichts nützt, so ist der Islam an allem schuld.

4. Suche nach einer gemeinsamen Sprache:

Das christliche wie auch das muslimische Geistesleben entspringt den gleichen Urquellen, die sich aber völlig unterschiedlich entwickelt haben:

Beide Geistesrichtungen gehen auf das griechische Gedankengut (Quelle des Denkens) und auf semitische Geisteslebnisse (hebräische und aramäische) als Stätten des Glaubens zurück. Entsprechend ihrer Geschichte und Tradition, jeweils beeinflusst von Raum und Zeit, geprägt durch die je eigenständige Umwelt, haben die beiden, christliches Abendland und islamische Welt, sich jedoch völlig unterschiedlich entwickelt. Wir haben es im Grunde mit zwei verschiedenen Denkmodellen, mit zwei verschiedenen Glaubensgebäuden und mit zwei verschiedenen Wertsystemen zu tun. Das ist eine Tatsache und bleibt auch so. Solange wir das nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit sind, und das nicht analytisch einarbeiten und nicht davon überzeugt werden, werden sich alle unsere Bemühungen um einen dauerhaften Frieden hier in Europa und außerhalb Europas unter verschiedenen Völkern im Namen von Ost/West, Nord/Süd, usw. nur auf der Oberfläche bewegen.

Hier, zu Hause in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa, und außerhalb des europäischen Hauses auf der Weltebene ist die Bestrebung notwendig, eine Möglichkeit zu finden, zunächst die anderen in ihrer Denk-, Gefühl- und Empfindungssprache zu verstehen und zu begreifen. Statt von vorneherein die Andersartigkeit der anderen anzukreiden, zu verurteilen und das als Fremdes, ja, Beängstigendes abzulehnen, tut Verstehen not. Das Problem liegt auf beiden Seiten. Wenn ich hier einiges aus meinen diesbezüglichen Erfahrungen in aller Bescheidenheit vortragen darf, so muss ich selbst zugeben, dass es bei mir persönlich lange gedauert hat, bis ich auf der philosophischen, wissenschaftlichen und religiösen Ebene diese Differenzierung bemerkt und in mir nachvollzogen habe. Zu dieser Möglichkeit hat jeder Zugang, der sich darum bemüht. Ich kann Ihnen mit Freuden erzählen, dass wir die Zeugen der Auswirkung der Inhalte unserer Schulbuchanalyse auf Muslime hier in Deutschland und anderen europäischen Ländern sind. All diejenigen Muslime, die sich intensiv mit den Inhalten dieser Analysen beschäftigt haben, lernen das christliche Bild des Islam kennen und dementsprechend werden sie befähigt, ihre eigenen Glaubens- und Kulturinhalte in einer adäquaten Form zu artikulieren. Diese Möglichkeit ist hier bei uns jetzt Wirklichkeit geworden. Wir stellen einen zwar einen langsamen, aber ständigen Wandel fest. Deshalb möchte ich Sie bitten und von hier aus einen Appell an verantwortliche Politiker und Medien richten, den Muslimen, vor allen Dingen der jungen Generation unter ihnen, die bereits Europäer sind, die Möglichkeit einzuräumen, diesen Prozess erfolgreich durchzumachen. Es handelt sich um einen normalen, geistigen Prozess, der leider immer wieder unterbrochen, ja sogar in das Gegenteil umschlagen wird, wenn wir die für uns schrecklichen Ereignisse und Entwicklungen in der islamischen Welt auf alle Muslime pauschal übertragen und somit eine friedliche Koexistenz erschweren.

Vortrag, gehalten bei der SPD Bonn, im Februar 1991
Zuerst erschienen in Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Engel – Elemente – Energien. Religionen im Gespräch, Bd. 2 (RIG 2): Balve: Zimmermann 1992, S. 74–79


RIG2-Falaturi-Dialog, 13.10.2016   

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