Sonntag, 16. Oktober 2016

Jeremia 29,1.4-14: Was ist das Beste für eine Stadt?

Der historische Hintergrund, als wäre es heute

Wenn man diesen Abschnitt ohne die Namen Jeremia, Jerusalem, Babylon und Nebukadnezar liest, kann man im Grunde nicht erkennen, wie alt dieser Text ist. Er hat als Hintergrund die Deportation vieler Juden nach Babylonien.
Das alte Babylon liegt übrigens im südlichen Teil des heutigen Irak …
Der Prophet Jeremia hat diesen Brief vermutlich zwischen 597 und 594 v. Chr. geschrieben.
587 erfolgte dann die endgültige Zerstörung und die Vertreibung der verbliebenden Einwohner Jerusalems durch das Heer Nebukadnezars. Einige waren vorher noch geflohen. Wie Jeremias Leben endete, wissen wir nicht.  Es ist eine Geschichte, die sich immer wieder und wieder ereignet: Eroberung, Vertreibung und Flucht – Babylon – Bagdad, Aleppo, Mossul, Kabul, die Namen sind geradezu austauschbar ...
In einer extrem dramatischen Zeit schreibt der noch in Jerusalem verbliebene Prophet Jeremia einen Brief an seine Landsleute im Exil. Und die für dort gemachten Aufforderungen verblüffen geradezu. Sie werden noch dazu im göttlichen Auftrag gemacht: V. 4 –7: „Baut Häuser …

Jeremia mischt sich von seinem Glauben her in die Weltpolitik ein ! Er macht politische Theologie. Er empfiehlt in seinem Brief etwas Ungewöhnliches. Die nach Babylon Deportierten sollen  sich mit den neuen Mächten zu arrangieren. Das heißt: Der Prophet lehnt nicht nur jegliche Gewalt gegen die Mächtigen in Babylon ab, vielmehr sollen die Vertriebenen ihr Exil als Chance sehen. Sie sollen daran denken, dass auch dort zwischen Euphrat und Tigris ganz normale Menschen versuchen, ihren Alltag zu bewältigen, Familien gründen, Kinder großziehen. Auch diejenigen im Exil können positiv dazu beitragen! Niemand verlangt von den Vertriebenen, dass sie alles in Babylon gut finden müssen. Das Militär Nebukadnezars hat schließlich grausame Arbeit geleistet. Aber es lohnt sich immer, an einem friedlichen Miteinander zu arbeiten: Hausbau, Familien und Firmen gründen, kurzum das Beste der Stadt suchen. Das ist ein kritisches Arrangement, geprägt von nüchternem Realismus und mit dem Blick auf eine Zukunft für alle.
Ob dem Propheten Jeremia klar war, dass dies faktisch ein regelrechtes Konzept ist, und zwar für die Beheimatung von Fremden!?  Es sollen sich ganz unterschiedliche Menschen auf ein gemeinsames Leben einlassen. Heute würde man Integration dazu sagen.  Denn wer sich auf Dauer in der neuen Gesellschaft arrangiert und engagiert, wird schließlich bleiben wollen Das bringt natürlich Veränderungen mit sich. Es entstehen neue Formen des Zusammenlebens, alte Gewohnheiten zerbrechen. 
Dies alles hat Deutschland ja seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebt. Viele sog. Gastarbeiter holten ihre Familien nach, eröffneten einen Laden, kauften oder bauten sich Häuser und fuhren immer seltener in die alte Heimat zurück. Den Städten und der Wirtschaft unseres Landes hat das gutgetan, sogar dem Bruttoszialprodukt. Natürlich gibt es bei einem solchen gesellschaftlichen Veränderungsprozess auch handfeste Probleme. Diese löst man jedoch nicht dadurch, dass man die hier lebenden Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens ablehnt. Das Beste der Stadt suchen heißt ganz banal: Integration fördern. Da verbietet es sich, die besorgten Bürger zu spielen und Fremdenfeindlichkeit  irgendwie zu rechtfertigen.
Was ist das Beste für die Stadt?

Derzeit müssen wir in Deutschland erleben, was das Schlechteste für eine Stadt ist. Die Demonstrationen von PEGIDA und der sog. besorgten Bürger haben den Ruf von Dresden, einer der schönsten und attraktivsten deutschen Städte gründlich ruiniert. Es kommen auffällig weniger Touristen, international renommierte Wissenschaftler verlassen die Stadt oder nehmen die Universitätsangebote erst gar nicht an. Das Bild des sächsischen Elbflorenz Dresden hat viele hässliche braune Flecken bekommen. So ist es bewundernswert, dass Kirchen und Religionen Dresdens angesichts der vielen gewaltsamen Übergriffe auf Flüchtlinge und Muslime zum Tag der deutschen Einheit eine Erklärung verfasst haben. Darin steht, wie sie das Beste ihrer Stadt Dresden und des Landes suchen wollen. Daraus zwei Sätze: 
Wir verpflichten uns,

  • gegenseitig aufeinander zu hören und einander tiefer verstehen zu wollen,
  • keine Zerrbilder der anderen Religion zu zeichnen und den interreligiösen Dialog zu suchen,
  • dafür einzutreten, dass Gewalt in jeder Form keine Rechtfertigung
    aus der eigenen Religion erhält,
  • zum Wohl der Gesellschaft mit Partnern aus anderen Religionen
    und der nicht-religiösen Gesellschaft zusammenzuarbeiten.
Ungerechtigkeiten, Ausgrenzungen und Ängste beseitigt man nicht dadurch, dass man andere beschuldigt, sondern dass man gemeinsam daran geht, das Beste für die Stadt zu suchen. Da kann man eben diejenigen nicht ausschließen, die auf welchen Wegen auch immer und oft unter Einsatz ihres Lebens zu uns gekommen sind.
Von anderen lernen
Es gibt glücklicherweise beeindruckende Beispiele in Ost und West, wie Menschen das Beste für ihre Stadt oder gar für das Land suchen:
Als ein gefährlicher Terrorist, getarnt als anerkannter syrischer Flüchtling, der Polizei entkommen konnte, suchte dieser in Leipzig Unterschlupf. Ein  anderer syrischer Flüchtling  nahm ihn in seine Wohnung mit. Als er durch die Fahndungsaufrufe erfuhr, wen er da vor sich hatte, fesselte er zusammen mit zwei Freunden diesen gefährlichen Mann. Sie informierten die Polizei, die dann von einem großartigen Fahndungserfolg sprach ... Was wäre wohl gewesen, wenn diese Flüchtlinge nicht nach dem Motto gehandelt hätten: Sucht das Beste für diese Stadt.
Die beiden Flüchtlinge haben nicht nur für Leipzig, sondern für ganz Deutschland das Beste getan, Polizei und Justiz wohl weniger ...

Details in Express vom 11.10.16: 

Die meisten Beispiele sind allerdings nicht so dramatisch wie jene in Chemnitz und Leipzig, aber sie sind mit derselben Absicht entstanden: Sucht das Beste für die Stadt !
Ich nehme nur einen Fall aus unserer Region heraus: Islamfeindlichkeit und Flüchtlingshass sind ja nicht nur ein ostdeutsches Phänomen. In Altena zündete ein Feuerwehrmann (!) im Frühjahr (2016) ein Flüchtlingsheim an. Der Protest in Altena und nicht nur dort war eindeutig. Von klammheimlicher Freude sog. besorgter Bürger habe ich zumindest nichts gehört. Liegt es vielleicht daran, dass die Stadt Altena eine Bevölkerungspolitik betreibt, in der es heißt: Wir könnten durchaus für unser Stadt noch ein paar mehr Flüchtlinge gebrauchen, denn sie sind eine Bereicherung für uns?
Weder durch verbale und schon gar nicht durch brachiale Gewalt wird der Frieden in einer Gesellschaft gefördert. Die Aufforderungen Jesu in der Bergpredigt bleiben eine tägliche Herausforderung. Wir haben sie vorhin im Evangelium gehört.
In unserem Zusammenhang sollten wir uns besonders deutlich merken: 
Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem ab, der etwas von dir haben möchte (Matthäus 5,42).

Nur Liebe und Zuwendung überwinden Zwietracht und Hass, auch und gerade die Liebe zu denen, die wir vielleicht gar nicht mögen …
Christliche Verpflichtung
Für uns als Christinnen und Christen kann das nur bedeuten, sich auf den Geist Jesu, den Geist der Bergpredigt, verpflichten zu lassen. Das ist sicher in der konkreten Situation nicht einfach, aber die Chancen der Versöhnung stehen gut, wenn wir sorgsam bedenken, was das Beste für unsere Stadt und für unsere Region ist. Jesus setzt in der Bergpredigt noch eins drauf: 
Böses nicht mit Bösem, sondern mit Gutem vergelten. 
Viele Kirchengemeinden, aber auch unsere Politiker vor Ort sind offensichtlich davon überzeugt, dass der Geist des Ausgleichs und der Versöhnung nicht nur dem Geist Jesu entspricht, sondern durchaus vernünftig ist. Denn das Klima in einer Gesellschaft wird durch Hassparolen nur noch schlechter, man denke an Dresden. Die vielen negativen, aber eben auch die positiven Beispiele sprechen eine eindeutige Sprache.

Was die ermutigenden Nachrichten betrifft: Vielleicht dürfen wir hier auch ein bisschen an den Märkischen Kreis denken mit den vielen erstaunlichen Berichten, wie sich Menschen einsetzen, damit  Flüchtlinge wenigsten ein bisschen Heimat wieder spüren können.
Was nehmen wir also mit, wenn wir den Brief des Jeremia an die nach Babylon Vertriebenen mit unseren heutigen Augen lesen? 
Nur die Sprache der Liebe und des Mitgefühls haben eine Zukunft für unsere Stadt, für unser Land, für unsere Kinder. Hören wir darum auf die beiden: Jeremia, den politischen Propheten, und Jesus, den Prediger aus Nazareth. Er hat uns nicht umsonst die Bergpredigt überlassen, wo es eindeutig heißt: 

Selig sind diejenigen, die Frieden machen, denn sie werden Kinder Gottes heißen (Mt 5,9).

Reinhard Kirste

Relpäd/Jeremia 29,1.4–14, 16.10.16 

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